Kinder wachsen heutzutage in eine bildgewaltige Welt hinein, die nicht selten sogar uns Erwachsene täuscht oder verunsichert. Bearbeitete oder manipulierte Bilder und Videos, die eine falsche Realität vortäuschen, begegnen uns überall in unserem Alltag. Daher ist es von besonderer Bedeutung, Kinder schon früh im Lesen von Bildern zu schulen.
Bilder lesen zu können ist ein wichtiges Ziel von gutem Kunstunterricht und ein Teil der Bildkompetenz. Genauso wie Kinder das Lesen und Verstehen von Wörtern, Sätzen und Texten üben müssen, um immer besser in ihrer Lesekompetenz zu werden, müssen Kinder auch das Lesen und Verstehen von Bildern üben, um Bildkompetenz zu entwickeln. Dieser Lernprozess ist eng mit der eigenen praktischen Anwendung, also dem Schreiben von Texten oder Produzieren von Bildern verzahnt, um Texte und Bilder als bewusstes Mittel der Kommunikation und des Ausdrucks wahrnehmen und selbst anwenden zu können.
Was dich in diesem Blogbeitrag erwartet:
- Die Rolle von Bildkompetenz im Zeitalter der KI
- Was ist kritisches Denken und können Kinder das eigentlich schon?
- Drei Tipps für das kritische Hinterfragen von Bildern (nicht nur) mit Kindern
- Bildkompetenz im Kunstunterricht fördern
- Weiterführende Materialien und Erklärvideos speziell für Kinder
- Quellen und weiterführende Literatur
Die Rolle von Bildkompetenz im Zeitalter der KI
Die Manipulation von Bildern ist keine neue Erfindung. Schon in frühen Zeiten der analogen Fotografie wurden Bildmaterialien in der Dunkelkammer durch den gezielten Einsatz von Entwicklungsmaterialien und Belichtung verändert und u.a. politisch eingesetzt.

Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass diese Tätigkeit der Bildmanipulation früher sehr aufwändig und ausschließlich ausgebildeten Fotograf:innen vorbehalten war. Selbst die digitale Bildbearbeitung der vergangenen Jahrzehnte war noch vergleichsweise anspruchsvoll und es bedurfte eines gewissen Knowhows. Seitdem jedoch durch KI die Fortschritte in der digitalen Bildbearbeitung extrem schnell voranschreiten, ist die Veränderung oder Generierung von Bildern und Videos nicht nur unglaublich schnell, einfach und qualitativ hochwertig, sondern auch für sehr viele Menschen zugänglich geworden. Zudem hat die schiere Masse an Bildern durch die Digitalisierung unseres Zeitalters extrem zugenommen.
Mit nur wenigen Klicks können heutzutage täuschend echte Bilder oder Videos erstellt werden, die beispielsweise auf Social Media genutzt werden, um Fake-News zu verbreiten. Der Papst in Pufferjacke war eines der ersten viralen KI-Beispiele. Aber auch die Auswirkungen auf die eigene Körperwahrnehmung, die sich z.B. durch stark bearbeitete Körperbilder oder voreingestellte Facefilter auf Social Media-Plattformen wie TikTok verändert, sind bedenkenswert. Dieses Phänomen macht sich auch die Werbung zu nutze, indem sie uns bildhaft suggeriert, was wir brauchen und wie wir sein sollten, um ein erfüllteres Leben zu führen.
Dies sind nur ausgewählte Beispiele aus der komplexen Bildwelt, die uns tagtäglich umgibt. Aber sie machen bereits sehr deutlich, wie wichtig es ist Bilder kritisch lesen und interpretieren zu können. Bildkompetenz im Zeitalter von Social Media und KI ist unabdingbar.
Die damit einhergehenden Herausforderungen befeuern aktuell wichtige Diskussionen in unserer Gesellschaft. Meines Erachtens ist die Lösung allerdings nicht in einem Schonraum für Kinder und Jugendliche zu finden, in dem wir die KI-Technologie von ihnen so lange wie möglich fernhalten. Es wäre naiv zu glauben, dass wir das könnten, denn Bilder sind in der heutigen Welt einfach überall. Auch sind KI-Bearbeitungs- oder Generierungsfunktionen auf vielen Internetseiten oder in Apps mittlerweile als fester Bestandteil integriert. Der Einfluss von bildgebenden Medien wird, wie bereits in der Vergangenheit, immer als Mittel zum Zweck nutzbar gemacht werden, ob wir das nun gut finden oder nicht.
Daher wird es allmählich Zeit die Herausforderung anzunehmen. Kinder müssen die sie umgebende Bildwelt lesen, kritisch hinterfragen und selbstwirksam nutzen lernen und zwar so früh wie es ihnen möglich ist. Fangen wir am besten gleich damit an!
(Anmerkung: Ich beziehe mich in diesem Beitrag ausschließlich auf die technischen Möglichkeiten von KI in der Bildgenerierung und Bildbearbeitung, nicht auf die Eignung der Inhalte – Schutzfilter sollten selbstverständlich aktiviert sein, um unangemessene und nicht altersgerechte Bilder für Kinder und Jugendliche zu filtern.)
Was ist kritisches Denken und können Kinder das eigentlich schon?
Kritisches Denken ist die Fähigkeit Informationen (auch in Form eines Bildes) zu hinterfragen, sie zu analysieren und auf Grundlage von Fakten (also evidenzbasierten Argumente) zu beurteilen, anstatt diese Informationen einfach als die einzige gegebene Wahrheit anzunehmen.
Jonas Pfister erklärt in seinem Buch „Kritisches Denken“ sehr einleuchtend, wie wichtig dafür spezifische Kenntnisse, Fähigkeiten und Dispositionen (also u.a. Mut, Offenheit und die Bereitschaft, die eigene Meinung anzupassen) sind (Pfister 2013, 14ff). Es stellt sich also die Fragen, ab wann Kinder die entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Dispositionen besitzen, um kritisch denken zu können oder ab wann es sinnvoll ist das kritische Denken zumindest anzubahnen. Bei sämtlichen Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie und Kognitionsforschung ist immer zu beachten, dass wir das Ziel einer inklusiven Schulbildung anstreben und Entwicklungs-„Stufen“ oder „Phasen“ mit bestimmte Altersangaben immer auch früher oder später erreicht werden können.
Im Kleinkindalter von etwa 3 Jahren fangen viele Kinder an, Fragen an die Welt zu stellen. Die klassischen „Warum?“-Fragen sind Ausdruck davon, dass Kinder ihre Welt verstehen wollen, denn sie machen eine schier unstillbare Neugierde deutlich.
Mit zunehmender kognitiver Entwicklung, gesammelten Erfahrungen und wichtiger Wissenserweiterung gelingt es vielen Kindern ab 4-5 Jahren aufwärts immer besser sich in die Perspektive anderer hineinzuversetzen. Wann genau ist in der Forschung umstritten (Pfister 18 ff). Durch diese Fähigkeit sind Kinder in der Lage verschiedene Sichtweisen oder Wahrheiten wahrzunehmen. Dies ist ein wichtiger kognitiver Entwicklungsschritt, um die Fähigkeit des kritischen Denkens zu erlernen.
Ein gutes Beispiel dafür sind Zaubertricks. Ich persönlich liebe ja die Welt der Zauberei – oder besser gesagt der Illusionen. Wer schon einmal mit seinen eigenen (Kita-)Kindern gezaubert hat, weiß auch wie viel Spaß es machen kann, die faszinierten Blicke der kleinen Zuschauenden zu beobachten und sie mit einfachen Zaubertricks hinters Licht zu führen. Bis zu dem Tag, an dem sie anfangen die Illusion kritisch zu hinterfragen. Das ist der Moment, in dem Kinder ihre eigenen Erfahrungen und ihr Wissen mit dem, was sie sehen, abgleichen und nach logischen Erklärungen suchen. Ihnen wird bewusst, dass es noch eine andere Perspektive als die eigene geben könnte und sie wollen diese erkunden. Genau das ist der Anfang von kritischem Denken.
Wer also meint, kritisches Denken könne erst in der weiterführenden Schule wirklich gefördert werden, liegt damit falsch. Sehr wohl verfügen auch schon Grundschulkinder über wichtige Vorstufen des kritischen Denkens. Ich beobachte oft, wie viel Freude schon kleine Kinder daran haben Dinge zu hinterfragen, neues Wissen zu erkunden und geschickt zu argumentieren.
Diese Erkenntnisse und Beobachtungen machen deutlich, dass es durchaus sinnvoll und wichtig ist, Kinder im Lesen und kritischen Beurteilen von Bildern so früh wie möglich zu fördern, um die Fähigkeiten im Laufe der Schulzeit konsequent aufbauen zu können.
Drei Tipps für das kritische Hinterfragen von Bildern (nicht nur) mit Kindern
In diesem Abschnitt stelle ich drei Denkanregungen vor, die Kindern (sowie Jugendlichen und Erwachsenen) helfen können Bilder kritisch zu hinterfragen und zu deuten.
1. Das weiß ich!
Abgleich mit dem eigenen Wissen:
- Frage: Gibt es das wirklich?
- Bildkompetenz: Ich kann mein eigenes Wissen anwenden, um Unstimmigkeiten zu erkennen.
- Grenzen: Unbekanntes Wissen muss aktiv recherchiert werden. D.h. wenn das eigene Wissen nicht ausreicht, kann das Gesehene nicht beurteilt werden. Es ist dann nötig nach diesem unbekannten Wissen zu suchen, z.B. in Büchern, im Internet oder bei Expert:innen (dazu gehört auch die Möglichkeit Eltern und Lehrkräfte zu fragen).
Beispiele: Eisbär umarmt Pinguin oder das lebendige Einhorn-Fohlen per Paketsendung, diese Instagram-Videos wirken noch realer als Fotografien.
2. Das sehe ich!
Genau hinsehen:
- Frage: Gibt es sichtbare Fehler?
- Bildkompetenz: Ich kann auf Details und die Bildkomposition achten, um Unstimmigkeiten zu erkennen.
- Grenzen: Je besser die KI-generierenden Bildprogramme werden, desto schwerer wird es in Zukunft werden noch Fehler in Bildern zu erkennen. Aktuell ist es jedoch noch eine Frage des Wissens und eine Wahrnehmungsübung typische KI-Fehler zu entdecken. Dies ist eine Fähigkeit, die sich auch Kinder sehr schnell aneignen können (z.B. bei der näheren Betrachtung der Finger, Gesichter, Augen, Licht und Schatten, Logik des Bildaufbaus, Buchstaben/Wörter).
Beispiele: Ich finde das KI-Bilder-Quiz von Geo sehr empfehlenswert, da es zu jedem Bild erklärt, an welchen Details die KI-Generierung erkennbar ist. Mit Kindern könnte man jeden Tag oder am Wochenende gemeinsam ein Bild analysieren, z.B. als Frühstücksritual, nach dem Abendessen oder natürlich auch in der Schule.

3. Das frag ich mich!
Die Quelle hinterfragen:
- Fragen: Wer? Wie? Wann? Warum?
- Wer hat das Bild gemacht?
- Wie wurde es gemacht? Wie heißt es?
- Wann wurde es gemacht?
- Warum wurde es gemacht?
- Bildkompetenz: Ich kann die Hintergrundinformationen eines Bildes herausfinden, um zu erkennen, ob es KI-generiert wurde und zu welchem Zweck es gemacht wurde.
- Grenzen: Größere Zusammenhänge zu erkennen, gelingt erst mit einem großen Wissen über den Kontext, daher gewinnt diese Frage mit zunehmendem Alter vor allem an der weiterführenden Schule an Bedeutung. Verlässliche Quellen zur Überprüfung müssen zugänglich und bekannt sein. Auch ist es wichtig typische Begriffe zu kennen (wie KI, AI, Bot, Tech, Fake u.ä.), da diese sich in der Bezeichnung des Urhebers, des Titels oder der Beschreibung des Bildes verstecken können und wichtige Hinweise liefern.
Mittlerweile kennzeichnen Bildersammlungen, wie z.B. Adobe Stock, KI-generierte Bilder zuverlässig. Auch Social Media Apps, wie Instagram, versuchen KI generierten Content auszuweisen – als Nutzende muss man allerdings wissen, wo diese Hinweise zu finden sind und natürlich liegt auch ein entscheidender Teil der verantwortungsvollen Contentkennzeichnung bei den Creatorn selber.
Beispiele: Für die weiterführende Schulen kann ich das Didaktische Material zur Ausstellung „X für U – Bilder, die lügen“ sehr empfehlen, das verschiedene Arten der Manipulation näher in den Blick nimmt. Im Kern geht es dabei darum, die manipulative Nutzung eines Bildes zu erkennen, ganz gleich, ob es mit oder ohne KI erstellt wurde.
Bildkompetenz im Kunstunterricht fördern
Kunstunterricht verfolgt die Förderung von Bildkompetenz schon lange als wichtiges didaktisches Ziel. In Anbetracht der aktuellen Diskussionen um KI-generierte Bilder und Videos, Manipulationen und Fake-News habe ich jedoch oft das Gefühl, dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, was für einen wertvollen Beitrag guter Kunstunterricht zu dieser Diskussion beitragen kann.
Kein anderes Schulfach verfügt über eine so große Expertise Lernende beim Lesen und kritischen Hinterfragen von Bildern zu fördern.
Dabei bewegt sich guter Kunstunterricht nicht nur auf der rezeptiven und reflektiven Ebene, die in den vorhergehenden Abschnitten dieses Beitrags im Fokus stehen. Kunstunterricht ermöglicht Kindern und Jugendlichen auch selbstwirksame, praktische Erfahrungen mit digitalen Techniken. Konkret heißt dies, dass Lernende im Kunstunterricht den Raum finden mit analogen, digitalen, aber auch KI-gestützten Möglichkeiten der Bildbearbeitung zu spielen und zu experimentieren, um dadurch zu lernen, sie bewusst anzuwenden, ihre Wirkung, ihren Sinn und Zweck zu hinterfragen und zu reflektieren. Durch die Verzahnung von Praxis, Reflexion und Rezeption können tiefe Verstehensprozesse angeregt werden, die im besten Fall fächerübergreifend und medienpädagogisch nutzbar gemacht werden.
Das Potential guten Kunstunterrichts ist groß, um die geschilderten Herausforderungen anzugehen. Die Verantwortung liegt dort aber nicht alleine. Es braucht selbstverständlich die Ressourcen, u.a. die digitale Ausstattung und die Zeit im Unterricht sowie in der Vorbereitung. Ebenso brauchen wir eine verantwortungsvolle, sensibilisierte und kompetente Nutzung durch Lehrkräfte, wie auch Eltern.
In Anbetracht der aktuellen Nachrichten ist und bleibt die kritische Beurteilung der uns umgebenden Bild- und Informationsflut eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Es nützt also wenig diese Herausforderung von uns wegzuschieben. Wir alle können für unsere Kinder ein Vorbild sein und uns im ersten Schritt selbst den neuen Herausforderungen stellen. Sie annehmen, indem wir z.B. die KI-Technologien selbst ausprobieren, uns dafür interessieren, damit spielen, üben, uns fortbilden und einfach mal Neues wagen.
Und auch wenn dieser Artikel vor allem Kinder in den Blick nimmt und ein klares Plädoyer dafür liefert, schon früh Kinder im kritischen Umgang mit Bildern zu schulen, um die Kompetenz langfristig anzubahnen, hilft dieser Beitrag vielleicht auch Pädagog:innen, Eltern oder anderen Interessierten bewusst zu machen, wie wichtig unsere eigene digitale Bild- und Medienkompetenz ist, um den Herausforderungen unserer Zeit angemessen zu begegnen.
Weiterführende Materialien und Erklärvideos speziell für Kinder
Da stimmt doch was nicht! Ein Suchspaß-Wimmelbuch für Kinder ab 3 von Ralf Butschkow, 2011, Baumhaus-Verlag. Dieses Buch wurde analog illustrierst und mit viel Witz geschrieben. Es ist sehr empfehlenswert, um schon kleine Kinder zum genauen Hinsehen und kritischen Hinterfragen anzuregen.
Bücher der Reihe Ich sehe was, was du nicht siehst von der amerikanischen Künstlerin Joan Steiner regen Kinder ab 4 Jahren an, die dargestellten Bildwelten genau zu untersuchen, denn oft sieht man erst auf den zweiten Blick, das so einiges in den Fotografien zweckentfremdet wurde. Esslinger Verlag.
Wie erkennst du KI-generierte Bilder? SRF Kids News #Shorts (Schweizerdeutsch) https://youtu.be/uQDRZUbIbpk?feature=shared (persönliche Empfehlung ab 8 / Klasse 3)
SRF Kids News: Papst in Pufferjacke? Wie KI die Welt auf den Kopf stellt – die ganze Folge (Schweizerdeutsch) https://youtu.be/Ndyy-Qc2Z8A?feature=shared (persönliche Empfehlung ab 8 / Klasse 3)
Wie kann ich fake von der Wahrheit unterscheiden? 3 Tipps zum Erkennen von fake-Tierrettungen – Logo Kindernachrichten: https://www.zdf.de/kinder/logo/logo-vom-dienstag-19-november-2024-102.html (persönliche Empfehlung ab 9 / Klasse 4)
Quellen und weiterführende Literatur:
Berner, Nicole (2022): Kernfragen der Kunstdidaktik, Haupt Verlag, Bern.
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.) (1998): Von X bis U – Bilder die Lügen, Bouvier Verlag, Bonn.
Jaubert, Alain (1989): Fotos, die lügen. Politik mit gefälschten Bildern. Athenäum Verlag, Frankfurt a. M.
Kirchner, Constanze (Hg.) (2013): Kunst – Didaktik in der Grundschule, Cornelsen Schulverlag, Berlin .
Pfister, Jonas (2023): Kritisches Denken, Reclam Verlag, Stuttgart.
https://www.spiegel.de/fotostrecke/manipulierte-bilder-fotostrecke-107186.html

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